Müssen wir Künstliche Intelligenz nutzen, um über Künstliche Intelligenz zu reden? - Bislang dachte ich: Ja, das müssen wir. Wir brauchen Erfahrung, damit wir wissen, worüber wir reden.
Auf meiner Podiumsdiskussion wurde ich eines Besseren belehrt.
Es war Pfingstmontag, das Open Ohr Festival lief in Mainz. Ich moderierte eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kunst und KI - Kunst von allen für alle?“ Das Zelt füllte sich, obwohl draußen bestes Festivalwetter lockte, und das nach drei verregneten Matschtagen. Rund 150 Menschen strömten ins Zelt. Das Interesse schien groß, der Bedarf zu reden wohl auch.
Meine Podiumsgäste brachten eine ganze Palette von Hintergründen und Erfahrungen auf die Bühne. Ihr verbindendes Element: Künstliche Intelligenz und ein Faible für Kunst und Kultur. Auf dem Podium saßen:
Dorothea Winter, Philosophin mit kundigem Blick für KI-Kunst
Simon Lemcke, Physiker mit Kenntnissen im Maschinellen Lernen
Anton Koch, IT-Experte, der KI in die Ausbildung im Tanz und Design bringt
Florian Süß, Medienpädagoge, der Schüler*innen und Lehrkräfte in Sachen Medien und KI schult
Wir starteten mit grundlegenden Fragen: Warum der Hype? Kann generative KI Kunst? Wann wird ein Bild aus Midjourney zu Kunst?
Dann wollte ich das Publikum besser kennenlernen. Also fragte ich nach ihren Erfahrungen. Ich wollte wissen: Wer nutzt KI regelmäßig, wer manchmal? Wer nutzt KI nur, wenn es nötig ist? Und wer hat noch nie mit KI gearbeitet?
Die Antworten waren eindeutig: Das Publikum teilte sich in zwei große Lager.
Ein gutes Drittel nutzte KI regelmäßig. Ein gutes Drittel hatte KI noch nie genutzt.
Ich staunte. Ein Drittel hatte noch nie mit KI gearbeitet oder auch nur herumprobiert. Damit hatte ich nicht gerechnet, denn schließlich ging es ja hier um KI. Wir wollten große Fragen diskutieren. Wollten einen philosophischen Blick auf Kunst und Kreativität werfen; rechtliche Fragen zum Einsatz von KI in der Kunst besprechen; die Rolle von Kunst in Technologie und Gesellschaft beleuchten.
Nun fragte ich mich, wie wir diese Themen diskutieren wollten in einer Runde, in der jede Dritte noch nie mit KI gearbeitet hatte.
Meine Frage beantwortete sich von selbst. Wir stiegen in die Diskussion ein, ich zeigte Beispiele und brachte grundsätzliche Fragen auf. Podium und Publikum beteiligten sich rege.
Unsere Diskussion nahm ihren Lauf und das Publikum lief munter mit. Wir diskutierten:
Wovon leben in Zukunft Designerinnen und Illustratoren, wenn Bilder so leicht zu erzeugen sind? „Brotkunst“ nannte Dorothea Winter diese kleinen Alltagsaufträge, die Künstler*innen das Überleben sichern. Und diese Brotkunst sieht sie bedroht, wenn Bild-KI solche Aufträge schnell und günstig erledigt.
Ist es ok, dass KI-Modelle mit den Werken zeitgenössischer Künstler*innen trainiert wurden? Ist es ok, dass die betroffenen Künstler*innen nie gefragt wurden, ob ihre Werke eingelesen wurden, und bis heute kein Geld dafür erhalten haben? Und wenn nicht, was lässt sich dagegen tun?
Öffnet KI das Tor zur großen künstlerischen Freiheit für alle? Anton Koch sah das kritisch und bekam viel Zustimmung im Publikum. Öffnet KI am Ende eher das Tor zu einem Wild-West-Szenario, in dem die größten Firmen mit dem meisten Geld gewinnen?
Diese und andere Fragen diskutierten wir, und alle im Zelt beteiligten sich.
Ein Teilnehmer empfahl uns, eigene lokale Sprachmodelle zu trainieren. Mit solchen Modellen könnten wir einen eigenen kreativen Stil pflegen, der nicht Gefahr läuft, im Mainstream glattgebürstet zu werden. Und er versicherte uns, es sei ganz einfach.
Jemand erklärte, er habe noch nie KI benutzt, aber stelle sich ChatGPT vor wie eine Zufallsmaschine - könnte das nicht kreatives Potenzial entfalten? Simon Lemcke gab uns daraufhin einen Einblick in den Maschinenraum der Sprachmodelle, mit Tokenisierung und Statistik. So lernten alle im Raum dazu.
Eine Teilnehmerin sprach mich nach der Veranstaltung an: Für sie als Bildhauerin sei der Zug abgefahren, die KI würde ihren Job übernehmen - und trotzdem wolle sie mitdiskutieren und mehr verstehen. Die Podiumsdiskussion hätte genau das geleistet, und dafür war sie dankbar.
Medienpädagoge Florian Süß gab uns am Ende der Diskussion dies mit: Die beste Art, sich dem Thema KI zu nähern, sei, es einfach auszuprobieren. Mit Tools experimentieren und testen, was geht und was gefällt - unbedarft wie Kinder.
Fazit: Was nehme ich aus der Diskussion mit?
Diese Veranstaltung hat mir gezeigt: Auch in öffentlichen Diskussionen dürfen wir uns ein Stück „kindisch“ zeigen. Als Nicht-Wissende nicht auf der Zuhörerbank verweilen, sondern in die Diskussion gehen und mitreden. Als Wissende offen zuhören - auch wenn vermeintlich kindische Fragen kommen oder Ansichten, die im ersten Moment uninformiert und abwegig klingen.
Jede Diskussion kann profitieren, wenn wir:
unvoreingenommen an das Thema und die Teilnehmenden herangehen,
jede Frage stellen dürfen, so abwegig sie auch erscheinen mag,
lernen wollen und ausprobieren können.
Das klingt nicht nur einfach, sondern kann auch Spaß machen. Ausprobieren und experimentieren wie Kinder: Wer wünscht sich das nicht? Kunst eignet sich übrigens hervorragend dazu, einfach auszuprobieren und zu experimentieren. Wenn wir dann noch darüber reden, können wir ein Stück Welt gestalten. Mit oder ohne KI, in der Kunst oder andernorts.
Übrigens: Das Open Ohr Festival feierte in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Herzlichen Glückwunsch!
Kunst und KI: Beispiele und Gesprächsstoff
Wer tiefer in das Thema „Kunst und KI“ eintauchen möchte, findet hier eine Sammlung von Werken und Künstler*innen, die Inspiration und Gesprächsstoff liefern können. Einige haben uns in der Podiumsdiskussion als Beispiel gedient. Andere haben mich und meine Podiumsgäste im Vorfeld inspiriert, über das Thema nachzudenken.
Jason Allen
Jason Allen gewann Ende 2023 den ersten Preis für digitale Kunst bei der Colorado State Fair. Sein Werk „Théatre d’Opéra Spatial“ hat er mit Midjourney erzeugt. Die Kunstszene war außer sich. Das Werk und die Preisvergabe brachten die öffentliche Debatte um den künstlerischen Wert von KI-Bildern in Fahrt.
Boris Eldagsen
Boris Eldagsen bekam den Sony World Photography Award 2023 verliehen für ein Bild, das kein Foto war, sondern komplett mit KI erzeugt. Bei der offiziellen Verleihung gab Eldagsen den Preis öffentlichkeitswirksam zurück. Seine Begründung: Sony habe sich nicht wirklich mit der Frage beschäftigt, wie Fotografie und KI zueinander stehen. Er wollte damit auch auf die Gefahr täuschend echter KI-Bilder für Demokratie und Meinungsbildung aufmerksam machen.
Greg Rutkowski
Der Grafikdesigner zählt wahrscheinlich zu den meistzitierten Künstlern in der KI-Kunst. Sein Name wird verwendet, um in Bildgeneratoren wie Midjourney Werke in einem bestimmten Stil zu erzeugen. Was ihm anfangs schmeichelte, stört Rutkowski inzwischen mächtig. Denn seine Werke wurden offenbar als Trainingsmaterial verwendet, aber er wurde nie gefragt. Nun sorgt er sich um seinen Marktwert, wenn überall Bilder im „Greg Rutkowski“ Stil auftauchen.
Studio Drift
Das Künstlerduo steht für aufwändige Projekte - Filme, Installationen, Skulpturen -, die mit Technik spielen und ästhetisch bestechen. Lonneke Gordijn und Ralph Nauta setzen KI als ein zentrales Werkzeug ein. Mit ihren Arbeiten wollen sie grundlegende Fragen der Existenz beleuchten. Zum Staunen bringt mich ihre Kunst auf jeden Fall.
Deep Dance
Das Projekt Deep Dance versucht, die schöpferische oder kreative Kraft der KI sichtbar zu machen, indem Menschen umsetzen, was KI erzeugt. Die Tänzerinnen und Tänzer setzen eine Choreografie um, die von KI erstellt wurde. Auf ästhetische Weise verschmelzen Algorithmen und Menschen miteinander. Ein Versuch, sich dem Thema zu nähern, der von Experimentierfreude und Neugier geprägt ist.
Nicole Seiler
Die Choreografin beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine. In „Human in the Loop“ gibt eine KI Regieanweisungen, die in Echtzeit von den Tänzerinnen und Tänzern umgesetzt werden. In den Fokus rücken Fragen rund um Macht und Freiheit in einer Welt, die von Algorithmen regiert wird. Nicole Seiler nähert sich dem Thema mit Humor und Leichtigkeit. Das macht Lust aufs Weiterdenken.
Refik Anadol: Unsupervised
Ein Blick in den Maschinenraum einer KI, und los geht es: Vor unseren Augen entstehen offenbar zufällig erzeugte Gebilde, die eine eigene Schönheit besitzen. Anfangs habe ich mich gefragt, ob Unsupervised ein reines Spielen und Experimentieren mit der Technik ist oder mehr als das. Aber eigentlich ist mir die Antwort gar nicht wichtig. Mich beeindruckt die Schönheit dessen, was dort entsteht.
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