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  • AutorenbildHilge Kohler

Von Surfern und E-Bikes: Wie Metaphern unsere Sicht auf KI prägen


Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. Diesen Satz schrieb Ludwig Wittgenstein vor 100 Jahren. Heißt: Was wir nicht sagen können, das können wir nicht denken. Wenn ein neues Thema oder eine neue Technologie aufkommt, dann hinkt unsere Sprache oft hinterher. Uns fehlen die Worte. So ist das auch bei KI. 


Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Dieser Spruch ist bekannter als das Zitat von Wittgenstein. Und er weist den Weg aus der Sprachlosigkeit angesichts eines neuen Themas. Welche Bilder wir nutzen, um über KI zu sprechen und was das über unser Verständnis von ChatGPT & Co aussagt: Darum geht es in diesem Beitrag.



E-Bike oder selbstfahrendes Auto?


Wenn wir anfangen, mit Sprachmodellen zu texten, nutzen wir sie oft, als seien es selbstfahrende Autos. Wir setzen uns hinein, sagen, wo wir hin wollen, und los geht's. Wir lehnen uns zurück und machen nichts, bis wir am Ziel sind. Schreib mir eine Pressemitteilung. Die Ergebnisse sind in den meisten Fällen überschaubar. ChatGPT führt nicht an das gewünschte Ziel, sondern an irgendein anderes. Enttäuscht steigen wir aus und denken: Die KI kann eben doch nicht schreiben. 


Sketchnote einer Frau, die fröhlich auf einem Fahrrad fährt, und einem freundlichen Roboter, der ihr zuwinkt. Im Hintergrund stehen Autos in der Landschaft herum.
Was sind ChatGPT und Gemini für uns: Auto oder E-Bike? [DALL-E]

Für mich ist ChatGPT oder Gemini ein E-Bike: Mit ihm komme ich weiter als mit einem klassischen Rad oder zu Fuß. Ich bewältige Anstiege mühelos, die mich sonst ins Schwitzen bringen würden. Ich kann Umwege einschlagen, ohne zu fürchten, dass mir die Puste ausgeht. Aber ich muss immer treten. Ohne mich geht es nicht voran.





Wie Metaphern helfen, über ein Thema nachzudenken


Metaphern sind aus unserer Sprache nicht wegzudenken. Ob ich „den Zeitungsartikel überfliege“, mir bei einem Thema „die Hände schmutzig mache“ oder „in den sauren Apfel beiße“: Kein Tag vergeht, ohne dass wir Metaphern verwenden. 


Metaphern übertragen einen Begriff auf ein Thema, das mit dem Begriff nicht verbunden ist. Ein Wort oder eine Wortgruppe wird aus dem Kontext gelöst und auf einen anderen Kontext übertragen. Zum Beispiel das „Licht am Ende des Tunnels“ oder der „Tropfen auf den heißen Stein“. Auch wenn wir die Spitze eines Baumes als „Baumkrone“ bezeichnen, verwenden wir eine Metapher, auch wenn wir das bewusst gar nicht wahrnehmen. 


Metaphern sind beliebt, weil sie Wirkung zeigen. 


  • Das menschliche Gehirn ist darauf ausgerichtet, Bilder zu erinnern. Deshalb helfen Metaphern, abstrakte und komplexe Inhalte zu erfassen und zu erinnern. Zum Beispiel wenn die Automobilindustrie als „Rückgrat der Wirtschaft“ bezeichnet wird oder das menschliche Herz als „Pumpe“. 


  • Emotionale Inhalte sind leichter in Bildern zu vermitteln als in Worten. So lädt die Metapher vom Leben als Reise dazu ein, die Zukunft zu erkunden, anstatt sie detailliert zu planen. 


  • Die Arbeit mit Metaphern beflügelt unsere Kreativität, indem wir mit Sprache Bilder malen. Das inspiriert nicht nur, sondern macht auch Spaß. 



Metaphern strukturieren unser Denken


Der Linguist George Lakoff hat Metaphern gründlich erforscht. Seine Arbeiten an der Grenze zwischen Linguistik und Kognitionspsychologie haben unsere Sicht auf das Thema verändert. Lange galten Metaphern als gefällige Stilmittel für eloquente Redner. Lakoff hat gezeigt, dass Metaphern fundamentale kognitive Strukturen darstellen, auf denen unsere Wertesysteme und Überzeugungen basieren. 


Am Beispiel des Themas „Diskussion“ zeigt Lakoff, wie tief Metaphern in unsere Denkstrukturen eingewoben sind. Wir denken bei Diskussionen an Punktsiege und Gewinner, an gegnerische Argumente und Streitpunkte - wir stellen uns Diskussionen als kämpferische Auseinandersetzungen vor, in denen es darum geht, zu siegen. Wie würden wir uns wohl in einer Diskussion verhalten, wenn wir sie als Tanz oder Spiel verstehen würden? 


Fazit: Metaphern prägen unser Denken. Durch die Metaphern, die wir für ein Thema verwenden, setzen wir einen Rahmen für die Deutung aller Aspekte, die mit dem Thema zusammenhängen. Deshalb ist es gut, sich bewusst zu machen, welche Metaphern wir in welchem Zusammenhang nutzen.



Metaphern für ChatGPT, Midjourney & Co 


Wharton-Professor Ethan Mollick schrieb kürzlich über seine Art der Zusammenarbeit mit KI. Es ging um die Arbeit an seinem neuen Buch und die Frage, wie viel oder wie wenig ihm KI-Tools beim Schreiben geholfen haben. Mollick sprach von Zentaur und Cyborg. Der Zentaur ist halb Pferd, halb Mensch und steht dafür, dass KI und Mensch nebeneinander existieren - dass entweder die KI oder der Mensch arbeitet. Der Cyborg dagegen ist eine enge Verbindung aus KI und Mensch, in der nicht mehr getrennt werden kann zwischen dem, was die KI leistet, und dem Beitrag des Menschen. Für seine Arbeit nahm Mollick das Bild des Cyborg in Anspruch - und damit erledigte sich die Frage nach dem “Anteil der KI” an seiner Arbeit. 


Die Bilder von Zentaur und Cyborg finde ich interessant. Fabelwesen wie Zentaur haben immer etwas Faszinierendes. Aber als Metaphern sind sie weit von meiner Realität entfernt. Es fällt mir schwer, gedanklich auf dem Bild des Zentaur aufzubauen. Und zu Cyborgs habe ich keine wirkliche Beziehung. So bleiben die Bilder interessant, aber für mich abstrakt.  


Merke: Metaphern müssen in unserer Lebenswelt verankert sein, um Wirkung zu entfalten. 

Oft wird von der KI als freundliche Helferin oder neuer Kollege gesprochen. Diese Metapher ist eingängig und leicht verständlich. Aber sie vermenschlicht die KI. Ich mag sie trotzdem, weil sie eine Augenhöhe schafft. Das Bild von Kolleginnen und Helfern lädt mich dazu ein, über eine Partnerschaft von Mensch und Maschine nachzudenken, statt Bedrohungsszenarien zu zeichnen.



Wenn die KI nach passenden Metaphern sucht


Welche weiteren Metaphern können wir nutzen für die Zusammenarbeit von Mensch und KI? Vielleicht kann die KI helfen, diese Frage zu beantworten. Also schwinge ich mich auf mein E-Bike beziehungsweise setze mich an den PC und werfe das Sprachmodell an. 


Einen passenden Prompt bekomme ich von ChatGPT vorgeschlagen. Ich füge mein Thema ein und wähle einen Bereich, aus dem die Metapher stammen soll. Dann spezifiziere ich, welche Aspekte des Themas ich mit der Metapher betonen möchte. Dies ist der Prompt von ChatGPT, gefüttert mit meinen Details: 


< Ich schreibe einen Artikel über das Schreiben mit KI. Kannst du Metaphern vorschlagen, die diesen Prozess mit einer Sportart vergleichen? Ich suche nach etwas, das die Neuartigkeit und den experimentellen Charakter dieses Themas vermittelt. >


Als Ergebnis schlägt mir das Sprachmodell fünf Metaphern vor und erklärt jeweils seine Wahl. 


Zum Beispiel: 


Freestyle-Skiing: Beim Freestyle-Skiing geht es darum, mit Kreativität und technischem Können die Grenzen des Möglichen zu erweitern. Ähnlich verhält es sich mit dem Schreiben mit KI, wo Experimentierfreude und die Fähigkeit, die Tools kreativ zu nutzen, im Vordergrund stehen. Es geht um das Ausloten von Grenzen und das Schaffen von etwas Neuem und Unerwartetem.


Parkour in der urbanen Landschaft: Parkour-Künstler nutzen die städtische Umgebung, um ihre Routen auf kreative und effiziente Weise zu gestalten, wobei sie Hindernisse überwinden, die anderen im Weg stehen. Beim Schreiben mit KI navigieren Autoren durch die komplexe Landschaft künstlicher Intelligenz, nutzen ihre Fähigkeiten, um Herausforderungen zu meistern, und finden innovative Wege, ihre Ziele zu erreichen.


Surfen auf der perfekten Welle: Surfen erfordert Geduld und das richtige Timing, um die perfekte Welle zu erwischen. Im übertragenen Sinne wartet man beim Schreiben mit KI auf den Moment, in dem die KI genau die richtigen Worte liefert, die die Idee oder Botschaft perfekt einfangen. 


Ich denke über die Vorschläge nach:  


  • KI-Tools kreativ nutzen wie beim Freestyle Skiing, Grenzen ausloten und Unerwartetes kreieren: Nicht schlecht, aber auch nicht richtig gut, finde ich. 


  • Das Bild des Parkour gefällt mir, aber die Erklärung spricht mich nicht an. In komplexen Landschaften Herausforderungen meistern und innovative Wege zum Ziel finden: Das ist mir zu abstrakt. 


  • Passt die Surf-Metapher? Warte ich auf die große Welle, auf den Moment, in dem die KI die richtigen Worte liefert? Tatsächlich verhalte ich mich bei Bildgeneratoren oft so, weil ich nicht gut mit ihnen umgehen kann. Dann wiederhole ich meine Eingaben, passe sie minimal an und hoffe, dass irgendwann etwas Passendes dabei ist. Aber ich würde niemandem empfehlen, so mit der KI zu arbeiten. 



Ein Mädchen und ein Roboter surfen auf einer Welle am Strand, im Hintergrund Palmen
Entspannt die Welle reiten: Das Bild ist mir zu chillig für die Zusammenarbeit mit KI. [DALL-E]

Während ich über die Metaphern nachdenke, entsteht in meinem Kopf die Bebilderung für den Text. Der Parkour würde mir gefallen, ich liebe urbane Landschaften und sehe förmlich die Dynamik in den Bildern. Coole Surfer in der Brandung vor Hawaii schrecken mich eher ab - zu chillig für das KI-gestützte Schreiben. Freestyle Skiing hat etwas Wildes und Anarchisches, das überzeugt mich auch nicht als Bildsprache für die Arbeit mit KI. 




Ich frage mich, ob ich mit Sport die richtige Kategorie für die Metapher gewählt habe. Mir geht es eher um das Miteinander, um die Teamarbeit zwischen Mensch und KI. 



Merke: Metaphern haben unerwünschte Nebenwirkungen. Sie rufen Bilder hervor, die ihrerseits Assoziationen wecken - auch solche, die wir nicht beabsichtigen. 


Deshalb wandle ich meinen Prompt ab: 


< Kannst du Metaphern vorschlagen, die diesen Prozess mit einem Teamsport vergleichen? Ich suche nach etwas, das die Art der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine charakterisiert. >


Als Vorschläge bekomme ich zum Beispiel Rudern im Achter und Staffellauf in der Leichtathletik. Da könnte etwas für mein Thema drin sein. Nun bin ich wieder gefragt, die Metaphern gedanklich zu ergründen. 



In mehreren Schleifen zum Ziel 


Wie auch immer wir vorgehen: Mit dem Sprachmodell zu arbeiten heißt, mehrere Schleifen zu durchlaufen. Das erste Ergebnis wird selten passen. Wir müssen unsere Fragen anpassen, Feedback geben und mehr Kontext liefern. 


Ich habe dieses Vorgehen, wie in einem früheren Blogpost beschrieben, für mich zu schätzen gelernt. Es führt dazu, dass ich mich ausführlicher mit dem Thema beschäftige. Deshalb spart mir die Arbeit mit KI zwar an einigen Stellen Zeit. Aber ich investiere diese Zeit an anderer Stelle, um das Thema tiefer zu ergründen oder noch einmal zu reflektieren. Unterm Strich finde ich das Ergebnis besser, als wenn ich allein an dem Thema gearbeitet hätte. Aber nicht weil ich Zeit sparen würde, sondern weil ich mit den Sprachmodellen weiter komme als ohne KI. 


Es ist wie auf dem E-Bike: Ich trete genau so stark in die Pedale wie auf einem mechanischen Rad, aber ich komme weiter. Ich kann entlegene Landschaften erkunden und zusätzliche Schleifen einlegen. Das verschafft mir einen größeren Radius und erschließt mir neue Horizonte. 


Übrigens: Für die Metapher vom E-Bike hat kein Sprachmodell Geburtshilfe geleistet. Sie ist mir ins Hirn gehüpft, als ich draußen unterwegs war und über das Thema nachdachte. Autos und Fahrräder düsten an mir vorbei und meine Gedanken kamen auf Touren. Das geht auch ohne KI. 



Die Arbeit mit Metaphern hat Grenzen


So fruchtbar die Arbeit mit KI ist, so wichtig ist es auch, dass wir uns ihrer Grenzen bewusst sind. Für die Arbeit an Metaphern finde ich einige Themen besonders wichtig. Sie können schnell zu Problemen werden, wenn wir sie nicht beachten. Dies sind insbesondere: 


  • Stereotypen. Weil Metaphern auf der unbewussten Ebene wirken, können sie Stereotypen unbemerkt verstärken. Deshalb müssen wir hier besondere Vorsicht walten lassen. Wir sind die „Expertinnen“, die das Ergebnis kritisch hinterfragen müssen. 

  • Fingerspitzengefühl. Der KI fehlt unser menschliches Einfühlungsvermögen. Sie kann kreative Vorschläge unterbreiten. Aber ob ihre Vorschläge dem Thema angemessen sind, sensibel auch mit einem schwierigen Thema umgehen und der Zielgruppe nicht zu nahe treten: Das müssen wir als „Experten“ entscheiden. 

  • Urheberrecht. Prinzipiell sollten wir prüfen, ob unsere Metapher auf irgendeine Art geschützt ist. Wie wir das machen? Das ist ein großes Thema. Dazu mehr an anderer Stelle. Eine Grundregel ist jedoch einfach umzusetzen: Verwende die Ideen der KI nicht eins zu eins. Baue darauf auf und entwickle deine eigene Metaphernwelt. Das empfehle ich generell, und nebenbei senkt es auch das Risiko, ungewollt ein Urheberrecht zu verletzen. 


Für die Arbeit mit Metaphern gilt noch eine weitere Regel - egal ob wir mit oder ohne KI schreiben. Die Dosis macht das Gift. Metaphern sind wirkmächtig. Sie dosiert einzusetzen, kann einen Text, einen Vortrag und eine ganze Themenwelt bereichern. Aber wenn wir die Metapher überdosieren, verliert sie ihre Wirkung. 


Wenn ich ChatGPT bitte, einen Text mit einer Metapher zu versehen, dann bekomme ich die Metapher in jeden Absatz hinein geschrieben. Das ist zu hoch dosiert. Ich muss selbst wissen, wie oft und wo ich die Metapher verwenden möchte. Von allein würde das Sprachmodell meinen Text sonst an die Wand fahren. 


Wie wir für die richtige Dosis an Stilmitteln sorgen, wenn wir mithilfe von KI schreiben: Das ist ein ganz eigenes Thema. Darum werde ich mich in einem nächsten Blogpost kümmern. 



Fazit


Metaphern spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie wir technologische Entwicklungen erfassen und in unseren Alltag integrieren. Die Wahl der Metaphern beeinflusst unsere Sicht auf ein Thema und die Art, wie wir mit dem Thema umgehen. Wir sollten uns bewusst damit auseinandersetzen, wie wir über KI sprechen. Die Metaphern, die wir wählen, formen unser Denken über KI. Sie prägen unsere Sicht darauf, welche Möglichkeiten wir nutzen können und welche Grenzen wir achten sollten. 


Deshalb fragen wir uns am besten selbst: Wie denke ich über KI nach? Welche Bilder entstehen in meinem Kopf? Welche Metapher verwende ich, wenn ich über das Thema spreche? Diese Fragen können uns neue Welten erschließen. 




Weitere Informationen


Wer sich eingehender mit Metaphern für KI beschäftigen möchte, findet hier eine wissenschaftliche Betrachtung.  


In meinem Seminar Reden schreiben bei der dapr dreht sich alles darum, wie wir Vorträge und Auftritte vorbereiten. Mit Metaphern und anderen Stilmitteln. Ob mit oder ohne KI, den Griffel behalten wir dabei immer in der Hand. Das nächste Seminar findet im Mai bei der dapr statt.




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