Ein Rückblick und einige Wünsche an die Reden der DAX-CEOs
Wieder einmal hatten die großen CEOs im Lande unser Ohr. Wieder einmal haben wir die Reden der DAX-Vorstände auf ihren Hauptversammlungen verfolgt. Und wieder frage ich mich, was in diesem Jahr wohl anders, besser und bemerkenswert war.
Seit Jahren bewerte ich zusammen mit Kolleg:innen die rhetorischen Leistungen von Deutschlands Top CEOs auf ihren Hauptversammlungen. Bislang für den Redenschreiber-Verband vrds, jetzt erstmals exklusiv für das Handelsblatt. Während ich an der diesjährigen Analyse sitze, blicke ich zurück auf die Redesaisons der Vorjahre.
Hat sich 2021 ein gemeinsames Thema durch die Auftritte gezogen?
Ich frage mich, ob wir ein gesellschaftliches Thema identifizieren werden, das die DAX CEOs eint.
Wie die Europawahl vor einigen Jahren. DAX CEOs hatten sich abgesprochen, zur Teilnahme an der Europawahl aufzurufen. Nicht alle, aber viele bekannten sich klar für Europa und gegen Spaltungstendenzen. Ein überraschend konzertierter Aufruf zu Einigkeit und einer starken EU.
Oder der Klimawandel. Immer ausführlicher äußerten sich CEOs in den letzten Jahren zu Nachhaltigkeit und Klimawandel. Nicht immer ausführlich genug und nicht immer überzeugend. Aber kaum eine Rede blendete das Thema aus.
Dann Corona: das unvermeidliche Thema des letzten Jahres. Jede Rede startete damit. Manche Redner widmeten sich ihm in geradezu epischer Länge. Manchmal zu lang - wenn für hausgemachte Probleme, schlechte Geschäftszahlen oder kritische Themen keine Zeit blieb.
Mit Corona kam das Home Office, und mit dem Home Office die Frage, wie digital das Unternehmen denn aufgestellt sei.
Beim Thema Digitalisierung blieben die Reden in 2020 wie die Hauptversammlungen selbst: analoge Welten, die mühsam ins Digitale gekarrt wurden und dabei manche Schwäche offenbarten.
Kurios: Alle, wirklich alle Redner haben im letzten Jahr beteuert, sie hofften, ihre Aktionäre und Aktionärinnen im kommenden Jahr wieder persönlich, live und vor Ort begrüßen zu können. Als seien wir nicht persönlich live dabei.
Aus dem “vor Ort” ist in diesem Jahr nichts geworden. Trotzdem waren wir erneut dabei, live und persönlich.
In diesem Jahr standen die DAX CEOs zum zweiten Mal auf der virtuellen Bühne, und dieses Mal nicht überraschend. Genug Zeit zur Vorbereitung gab es.
Vieles wird also in diesem Jahr anders gewesen sein als in den Jahren zuvor. So alt die Rhetorik ist, so neu ist jedes Mal der einzelne Auftritt.
Worauf schaue ich in der Analyse dieser Saison und was erwarte ich mir?
Dass die Redner mit dem virtuellen Format gekonnt umgehen, das erwarte ich. Wie weit die Erwartungen erfüllt sind, darüber ringen wir derzeit im Analystenteam.
Dass wir mehr Leidenschaft und echtes Storytelling hören, darauf hoffe ich seit Jahren. Hoffen ist ja erlaubt.
Dass die CEOs freier sprechen, wünsche ich mir. Bisweilen wäre ich schon froh, sie entkrampft zu erleben. Es könnte als Signal dienen, zum Dialog einzuladen. Denn genau das soll die Hauptversammlung ja sein: ein Raum für Dialog.
Rein handwerklich wünsche ich mir gute Manuskripte, überraschende Elemente, sprech-taugliche Sprache, aufrichtige Argumentationen, nützliche Fakten - all das verbunden in einer Rede, der ich zuhören kann, als sei sie eine packende Geschichte.
Mit dieser Wunschliste im Kopf wende ich mich nun wieder der Analyse zu.
Im August werden wir veröffentlichen.
Bis dahin wird gelauscht, geschaut, bewertet und verglichen. Wie jedes Jahr. Und wie jedes Jahr ist wieder vieles anders.
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