"Stell dir vor, dies wäre die schlechteste KI, die du in deinem Leben nutzen wirst." Dieser Satz dient als Leitmotiv in dem Buch “Co-Intelligence”. Ethan Mollick lädt uns ein, über generative KI nachzudenken. Das Buch landete im Handumdrehen auf den Bestsellerlisten. Verdientermaßen?
Darum geht es
In diesem Buch dreht sich alles um generative KI. Der Schwerpunkt liegt auf Sprachmodellen, wie sie ChatGPT zugrunde liegen. Der Autor lotet aus, was Sprachmodelle können, heute und möglicherweise in Zukunft.
Intelligenter mit generativer KI
Der Titel “Co-Intelligence” deutet auf die Kernbotschaft, die der Autor für uns hat: Wenn menschliche Intelligenz mit künstlicher Intelligenz verschmilzt, dann können wir Grenzen verschieben.
Damit hängt auch das Zitat zusammen, das ich eingangs erwähnte:
Stellt euch vor, dies wäre die schlechteste KI, die ihr in eurem Leben nutzen werdet.
Mit anderen Worten: Wenn KI heute eine Aufgabe nicht so gut lösen kann wie wir Menschen, dann sollten wir davon ausgehen, dass sich das bald ändern wird. KI lernt so schnell dazu, dass sie die Aufgabe bald so gut wie wir beherrschen wird oder gar besser. Auf dieser Basis sollten wir dann überlegen, was generative KI für unsere Arbeit und unseren Alltag bedeutet.
Der Autor will uns keine Angst vor KI machen. Im Gegenteil: Seine Faszination macht er immer wieder deutlich. Er spricht auch kritische Aspekte an, aber vor allem beleuchtet er das Potenzial dieser Technologie.
Das Buch ist klar strukturiert
Der Aufbau ist einfach und fördert die Lesbarkeit. Im ersten Teil bekommen wir eine Einführung in die Technologie selbst, wie sie funktioniert und warum sie so funktioniert. Dabei geht es nicht tief ins Fachliche. Der Autor bleibt auf einer Ebene, die für alle verständlich ist.
Im zweiten Teil geht es um die Frage, wie generative KI unseren Alltag verändern kann. Einen Schwerpunkt legt der Autor auf die Frage, wie wir mit generativer KI, vor allem mit Sprachmodellen, zusammenarbeiten können und sollten. Ein ganzes Kapitel widmet sich der Arbeitsteilung zwischen Mensch und ChatGPT. Konkret: Wie stark dürfen und sollten wir die Technologie vermenschlichen, um das Beste aus ihr herauszuholen? Weitere Kapitel widmen sich den konkreten Anwendungsbereichen es geht um Jobs in Organisationen, kreative Tätigkeiten, Bildung und Coaching.
Zum Schluss wagt der Autor einen Blick in die Zukunft. Er schließt mit einem Twist, der mich hat schmunzeln lassen.
Bislang gibt es das Buch nur auf Englisch. Wer durchschnittlich gute Englischkenntnisse hat, wird damit kein Problem haben, denn das Buch ist verständlich und unterhaltsam geschrieben.
Über den Autor
Ethan Mollick ist Professor an der Wharton School der University of Pennsylvania. Er forscht und lehrt im Bereich Innovation und Entrepreneurship. Vor diesem Hintergrund betont er regelmäßig, dass er als Anwender an die Technologie herangeht und nicht als Technologieexperte. Eben diese Anwendersicht will er mit uns als Leserschaft teilen.
Mollick stellt seine viele seiner Forschungsergebnisse öffentlich zur Verfügung. In seinem Blog "One Useful Thing" schreibt er regelmäßig über seine Experimente mit generativer KI. Durch seine Arbeiten hat er sich eine Reputation als eine der führenden Stimmen im Bereich generativer KI geschaffen.
Das hat mir gefallen
An dem Buch gefällt mir der Fokus auf Geisteswissenschaften. Die vielen Einlassungen zu Kunst, Musik und Literatur heben das Thema auf eine Ebene, die in der Technologie oft fehlt. Die Zitate von Nick Cave und dem Regisseur Hayao Miyazaki sind mir noch im Ohr.
Gut lesbar, unterhaltsam geschrieben
Dazu passt auch der Schreibstil. Nicht zu trocken und nicht zu blumig, nicht zu abgehoben und nicht zu platt. Originell. An vielen Stellen musste ich lachen über die Formulierungen, Sprachbilder oder Anekdoten. Dieser Stil hilft auch, das Thema allgemein verständlich zu vermitteln. Damit baut das Buch eine Brücke zwischen Wissenschaft und Laienverständnis. Mollick erklärt die einschlägige Literatur und Studienlage so, dass wir ihm problemlos folgen können. Das ist wichtig, wenn es darum geht, möglichst vielen Menschen einen Zugang zu generativer KI zu bieten.
Relevante Kapitel herauspicken
Muss man das Buch von vorn bis hinten lesen? Ich meine, es hilft, aber ist nicht notwendig. Manche werden den ersten Teil vielleicht als zu allgemein oder zu bekannt empfinden. Inzwischen haben wir ja schon viel gelesen und gelernt über die Technologie an sich. Trotzdem finde ich es nicht schlecht, es noch einmal aus der Feder eines Insiders vermittelt zu bekommen. Aber das ist Geschmackssache. Wer die Grundlagen auslassen möchte, kann gleich in Teil Zwei springen und sich dort die Kapitel herauspicken, die sie am meisten interessieren.
Generative KI kritischer beleuchten
In einer zweiten Auflage würde ich mir mehr kritische Auseinandersetzung wünschen: Bias, Herkunft der Daten, Urheberrecht und Künstlereinkommen und viele weitere Fragen werden zwar gestreift. Aber inzwischen sind wir so sensibilisiert, dass eine tiefere Beschäftigung mit den negativen Seiten niemanden mehr wirklich abschrecken würde. Umso wichtiger ist es, sie zu beleuchten und nach möglichen Lösungen zu suchen. Auch das würde für mich zu diesem Buch gehören. Und es würde bestens passen.
Das habe ich gelernt
“Stell dir vor, dies wäre die schlechteste KI, die du in deinem Leben nutzen wirst.“ Das ist für mich der Schlüsselsatz des Buches.
Oft habe ich das Argument gehört, die KI könne den Job ja nicht so gut machen wie wir Menschen. Anfangs sagten viele Kolleginnen und Kollegen von mir, ChatGPT könne eben doch keine guten Texte schreiben. Das klang nach Selbstberuhigung. Inzwischen ist vielen klar, dass die KI rasant aufholt und immer näher an unsere Fähigkeiten im Job heranrückt. Ob es uns Texten geht, um Bilder oder kreative Kampagnenplanung.
Die Vorstellung, dass alle zukünftigen KIs besser sein werden als das, was wir heute haben: Das habe ich für mich als einen einfachen, aber sehr wirkmächtigen Leitsatz mitgenommen.
Wie viel Menschlichkeit dürfen wir in die Maschine dichten?
Ich habe auch noch einmal intensiver darüber nachgedacht, wie ich mit ChatGPT umgehe.
Ein schmaler Grat verläuft zwischen zu viel Anthropomorphisierung und zu wenig.
Mollick fordert uns förmlich dazu auf, ChatGPT wie einen Menschen zu behandeln, wenn wir mit dem System kommunizieren. Aber gleichzeitig sollen wir die kritische Distanz dem System gegenüber wahren. Wir sollen uns immer bewusst sein, dass wir es mit einer Technologie und nicht mit einem Menschen zu tun haben. Was passieren kann, wenn wir diese Grenze nicht waren, dazu liefert er Anekdoten. Inhaltlich war da für mich kein wirklich neuer Lernstoff drin. Aber ich fand es hilfreich, mich bewusst damit auseinanderzusetzen. Und ich glaube, ist es wichtig, einfach regelmäßig über die Natur unserer Arbeitsbeziehung zu reflektieren.
Sind Organisationen in der Lage, KI zu erkunden?
Wie gut sind Organisationen aufgestellt, um das Potenzial von KI zu erschließen? Die Frage habe ich mir erstmals gestellt, als ich das Buch gelesen habe. Andere werden diese Frage in ihrem Arbeitsalltag als ständige Begleiterin haben. Ich aber nicht. Und ich fand interessant, wie kritisch der Autor die top-down Organisation von Unternehmen sieht, wenn es um den Einsatz von KI geht. Wie wir Menschen ermutigen, mit KI zu experimentieren: Das ist ja nicht nur für Unternehmen interessant.
Wem empfehle ich das Buch?
"Co-Intelligence" ist ein Buch für alle, die sich mit der Schnittstelle von Mensch und Maschine beschäftigen möchten. Besonders profitieren würden wohl alle, die noch keinen Zugang zu generativer KI gefunden haben. Aber auch Menschen, die vielleicht ChatGPT oder Gemini ausprobiert haben oder regelmäßig einsetzen - und sich jetzt grundlegender mit der Technologie und ihrer Bedeutung beschäftigen möchten. Schließlich auch alle, die sich dafür interessieren, welches Potenzial generative KI für unsere Gesellschaft haben kann - von der Arbeit über Kreativität bis zur Bildung.
Mein Fazit
Bücher über generative KI haben zwangsläufig eine geringe Halbwertszeit. In Teilen sind sie veraltet, wenn sie auf den Markt kommen. So rasant vollzieht sich die Entwicklung ja gerade. Ein Buch, das unter diesen Bedingungen gut altert, muss schon grundlegende Themen ansprechen, um relevant zu bleiben. Ich meine, dass dieses Buch reichlich davon bietet.
Es wird interessant sein zu sehen, wie aktuell “Co-Intelligence” in einigen Monaten sein wird. Daran wird sich vielleicht auch zeigen, wie rasant diese Entwicklung tatsächlich ist. Auf jeden Fall spricht Ethan Mollick so viele grundlegende Themen an, dass ich sein Werk in meinem Bücherregal nicht missen möchte. Und wenn es nur für die Zitate der Künstler und die Anekdoten des Autors ist.
Co-Intelligence im Podcast
Übrigens: Mit Angela Hamatschek habe ich über das Buch gesprochen. In Episode 99 ihres Leseoptimistin Podcast können Sie hören, was uns dabei alles zu dem Thema einfiel.
Co-Intelligence: Living and Working with AI von Ethan Mollick ist in April 2024 im Penguin Random House Verlag erschienen.
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