Claude Artifacts im Praxistest: Spielerei oder Substanz?
- Hilge Kohler
- 14. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Die E-Mail kam am Donnerstag. Sie kostete mich fast das ganze Wochenende.
Anthropic hat ein neues Feature angekündigt: Artifacts sind ab sofort programmierbar, ganz ohne Programmierkenntnisse. Am Wochenende nach der Ankündigung probierte ich das Feature aus.
Erst war ich ziemlich ratlos, was ich damit machen sollte. Dann habe ich geschaut, was Anthropic mit Artifacts macht. Schließlich habe ich mich selbst an die Arbeit gemacht. Selten war ein Samstag so schnell vorbei.
Mit dem neuen Feature herumzuspielen, hat Spaß gemacht. Ob Artifacts auch nützlich sind und wie ich sie einsetze: Darum geht es in diesem Blogpost.
Was sind Artifacts in Claude?
Ein Artifact ist im Grunde ein kleines Fenster neben dem Chat. Es öffnet sich, wenn ich Claude nach einer Visualisierung oder einer kleinen App frage oder wenn ich ein Text-Template erstellen lasse. Das Artifact enthält nicht einfach Text, sondern interaktive Inhalte. Diese Inhalte kann ich direkt im Browser bearbeiten, ohne Copy-Paste oder zusätzliche Software.

Artifacts können ganz unterschiedliche Inhalte sein: von einfachen Lernkarten über kleine Spiele bis hin zu Daten-Bildern. Ich kann Dokumente strukturieren, Webseiten-Prototypen entwickeln oder Präsentationen erstellen. Das Besondere: Alles läuft live. Wenn ich sage "Mach die Farben heller", passt Claude das Artifact sofort an.
Das ist also das vielbeschworene "Programmieren ohne Programmierkenntnisse". Allerdings ist es in der Praxis dann doch nicht so einfach. Ein Beispiel: Ich bitte Claude, ein interaktives Übungsmodul zum strukturierten Prompten zu entwickeln. Das System macht sich an die Arbeit und bald ist das Artifact fertig. Das Ergebnis sieht gut aus, ist modular aufgebaut und lädt ein, loszuklicken. Ich klicke – und bekomme eine Fehlermeldung. Ich fordere Claude auf, den Fehler zu beheben, was nach dem dritten Anlauf auch funktioniert.
Dass Fehler auftreten, ist kein Wunder. Bei einer so neuen Funktion muss ich mit Kinderkrankheiten rechnen. Aber ich nehme es als Hinweis, mich nicht blind auf die Programmierkompetenz meines Sprachmodells zu verlassen.
Artifacts anpassen
Im nächsten Schritt teste ich ein Artifact aus dem Fundus von Anthropic. Der Mood Visualizer hat es mir angetan und ich probiere ihn aus. Ich gebe eine Stimmung ein, z.B melancholisch oder hellauf begeistert, und das System liefert mir ein ”Stimmungsbild”, in dem sich bunte Partikelchen bewegen. Nett. Aber was mache ich damit?
Mir kommt eine Idee: Wie wäre es, nicht die eigene Stimmung visualisieren zu lassen, sondern die Stimmung eines Textes? Ich frage Claude, ob es den Mood Visualizer entsprechend anpassen kann. Das System legt los und im Handumdrehen bekomme ich das Ergebnis: Den Voice Visualizer als Traum in Rosa.
Das Ergebnis sieht gut aus, Aber ich frage mich, welcher Text durchgehend eine rosa Stimmung hat. Leben Texte nicht gerade davon, dass Ihre Stimmung sich ändert? Das diskutiere ich mit Claude. Während ich diskutiere, überarbeitet das System eifrig sein Artifact und erklärt mir, warum es einen Text so und nicht anders darstellt.

So interessant die bunten Artifacts sind: Spannender finde ich, wie ich mit Hilfe des Systems darüber nachdenke, ob und wie sich die Stimmung eines Text in ein Bild packen ließe. Wie schwer es überhaupt ist, die Stimmung eines Textes zu beschreiben. Und was dies für den Versuch bedeutet, einen persönlichen Schreibstil in einen übersichtlichen Prompt zu fassen.
Artifacts in der Schreib-Praxis
Die Beispiele zeigen: Im Prinzip funktioniert die Sache einfach. Ich habe eine Idee und versuche, sie mit Hilfe des Sprachmodells in einem Artefakt umzusetzen. Je klarer ich meine Idee formuliere, desto genauer kann ich das System anleiten.
Fachwissen ist wieder einmal der entscheidende Schlüssel zu einem sinnvollen Umgang mit der Technologie. Die Frage ist nicht, ob die Technologie funktioniert – sondern wofür. Die Antwort finden wir, wenn wir in unserem Arbeitsumfeld mit der Technologie experimentieren.
Für mein Fachgebiet - das Recherchieren, Schreiben und Erzählen - kann ich mir eine Reihe von Anwendungen vorstellen. Zum Beispiel:
In der Recherche kann ich interaktive Zeitleisten für größere Ereignisse erstellen, einfache Datenvisualisierungen oder FAQ-Generatoren für komplexe Themen.
Im Storytelling kann ich verschiedene Formate testen, mit interaktiven Erzählungen experimentieren oder Multimedia-Elemente einbauen.
Im Redaktionsalltag kann ich Templates für wiederkehrende Texte erstellen, Mockups bauen oder Protopyten für Newsletter entwerfen.
Der Realitätscheck
Bei all diesen Use Cases stellt sich die Frage: Reicht eine Quick-and-Dirty-Lösung oder brauchen wir doch “Was Gescheites”? Wer sorgt für die Qualitätskontrolle und wie? Im ersten Beispiel, beim Erstellen der Prompting-Übungen, habe ich schnell gemerkt, dass die Lösung einen Bug hat. Würde ich das auch bei komplexeren Lösungen merken? Nicht zu vergessen den Datenschutz und die Barrierefreiheit. Ob die Erstellung eines Artifacts dann noch eine Erleichterung darstellt, muss sich im Alltag zeigen.
Vielleicht werde ich in den nächsten Wochen viel Zeit mit dem Herumprobieren verwenden, um dann doch festzustellen, dass ich für die meisten Fälle kein Artifact brauche. Aber die Zeit muss ich wohl investieren, um herauszufinden, in welchen Fällen Artifacts mir wirklich helfen können. Denn diese Fälle können umso wertvoller sein.
Und nun: Ausprobieren!
Das Beste ist, selbst auszuprobieren, was Artifacts für euch leisten können. Mit diesen Tipps solltet ihr einen guten Einstieg finden und nicht verloren gehen:
Einen Account bei Claude anlegen, falls ihr noch keinen habt. Artifacts lassen sich auch in der kostenlosen Version nutzen.
Mit einem einfachen Projekt starten. Zum Beispiel ein FAQ Dokument, ein Template für Standardtexte oder eine einfache Datenvisualisierung.
Falls die Ideen ausbleiben: Inspiration in den Artifacts von Anthropic suchen. Bei jedem Beispiel findet ihr auch den Chat, der zur Erstellung der Artifacts geführt hat. Eine gute Lernquelle.
Im Chat das Artifact weiter entwickeln. Nachbesserungen und Änderungen erbitten. Bei komplexen Anweisungen lohnt es sich zu fragen, ob das System alles verstanden hat, bevor es sich an die Umsetzung macht.
Realistisch bleiben. Artifacts sind gut für Prototypen, aber ersetzen wahrscheinlich selten die Arbeit von Profis.
Mit Lernkurven rechnen. Der Anfang mag frustrierend oder enttäuschend sein. Aber die ersten “Aha” und “Ach so” kommen bestimmt bald.
Einen Wecker stellen. Ihr wollt ja sicherstellen, dass ihr euch beim Ausprobieren nicht zeitlich total verliert.
Der eigenen Expertise vertrauen. Es lohnt sich zu fragen: “Nutzt das meiner Zielgruppe wirklich, oder sieht es nur fancy aus?”
Lernen und Erfahrung teilen
Wenn ihr eigene Erfahrungen mit Artifacts gesammelt hat, teilt sie gern. Gemeinsam lernen wir am schnellsten, können uns zu neuen Beispielen inspirieren, und davon profitieren alle. Ich freue mich, wenn ihr Eure Erfahrungen in den Kommentaren unter diesem Blog teilt. Oder wenn ihr auf LinkedIn darüber schreibt und mich taggt.
Und jetzt: ran an die Artifacts! Viel Spaß beim Experimentieren, Ausprobieren und kritischen Prüfen. Ich bin gespannt, was für Lösungen ihr so promptet.
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