Das Denken nicht vergessen: Anleitung zum Schreiben mit KI
- Hilge Kohler
- 14. März
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. März
Text auf Knopfdruck erzeugen? Für die einen geht ein Traum in Erfüllung: Nie wieder vor dem leeren Blatt sitzen, nie wieder mittelmäßige Texte produzieren, die man selbst nicht lesen mag. Für die anderen ist es der Horror: Massenhaft mittelmäßig KI-generierte Texte fluten das Netz und der Lesespaß bleibt auf der Strecke.
Für mich ist Text auf Knopfdruck gar keine Option. Ich nutze KI so gut wie jeden Tag für mein Schreiben. Aber minutenschnelle Texte per Prompt und Enter-Taste erzeugen, das kann und will ich nicht.
Ich höre schon die Stimmen sagen: Es kommt nur auf den richtigen Prompt an. Du musst richtig prompten, dann bekommst du auch gute Texte.
Ja, mag sein. Aber Schreiben heißt für mich nicht nur Texte produzieren. Schreiben ist für mich ein Denkprozess, und den kann ich nicht an KI auslagern. Wenn ich zum Beispiel diesen Blogpost schreibe, dann weiß ich am Anfang nicht, wie das Ergebnis am Ende aussieht. Die Gedanken sortieren sich beim Schreiben.
Die Wissenschaft nennt das epistemisches Schreiben. Gemeint ist, dass wir beim Schreiben über den Inhalt nachdenken - und das möchte ich nicht an KI auslagern. Ich kann aber mein Schreiben mit KI so gestalten, dass das Denken nicht zu kurz kommt.
Alles, was ich dafür brauche, ist ein Prozess. Ich brauche eine Vorstellung davon, wie ich durch meinen Schreibprozess gehe. Dann kann ich entscheiden, wie ich KI in den einzelnen Schritten nutzen möchte. Ich habe solch eine Vorstellung für mich entwickelt; ich nenne sie “die vier Felder” und lege sie auch in meinen Seminaren und Workshops zugrunde.
In diesem Blogpost zeige ich, wie ich mit den vier Feldern arbeite. Ich möchte das als Anregung verstanden haben, diesen Ansatz für sich auszuprobieren. Ich freue mich über Feedback, ob die vier Felder für euch funktionieren, ob ihr einen anderen Prozess benutzt oder wie ihr KI in euer Schreiben einbindet.
Die vier Felder des KI-gestützten Schreibens
Der Prozess ist intuitiv. Ich starte mit der Ideenfindung und Recherche. Dann mache ich mich an die Struktur und baue meinen Text auf. Wenn die Inhalte stehen, geht es an den Stil, der Text wird überarbeitet und geschliffen. Irgendwann ist der Text fertig und ich brauche Feedback auf meine Arbeit, eine Zweitmeinung und eine gründliche Schlusskorrektur.
In der Praxis gehen wir selten linear durch diesen Prozess. Wir hüpfen vor und zurück, drehen Schleifen. Und deshalb rede ich lieber von den vier Feldern als von Prozess-Schritten. In jedem Feld können wir KI bestimmte Rollen zuweisen oder sie auf die eine oder andere Art nutzen. So habe ich das auch für diesen Blogpost getan. Ich nehme ihn im Folgenden als Beispiel, um zu zeigen, wie ich mit den vier Feldern arbeite.
Feld 1: Ideenfindung und Recherche
Auf diesem Feld haben sich wahrscheinlich alle schon einmal getummelt. Ich kenne niemanden, der mit KI arbeitet, aber sich noch nie Ideen hat erzeugen lassen. Es funktioniert auch sehr gut. Drei Tipps habe ich für alle, die ihre Ideenfindung mit KI noch ausbauen möchten.
Kreativ arbeiten mit KI: Oft sind die Ergebnisse im ersten Schritt nicht so originell. Kleine Aufforderungen wie "denke kreativer" oder "denke kritischer" können dann Wunder wirken. Oft funktionieren auch Methoden, die wir im Analogen mit anderen Menschen durchführen. Zum Beispiel Kopfstand: Ich will wissen, wie ich einen Text verbessern kann, und frage, wie kann ich den Text verschlechtern?
Rollenspiele, Persona: Wir geben dem System eine Rolle, zum Beispiel "Du bist Leserin XY, was würde dich an dem Thema interessieren?" Oder: "Ich will ein Thema über Sportangeln schreiben, wen könnte das interessieren?" Das funktioniert besonders, wenn ich in den Dialog mit dem Modell gehe, wenn ich nachfrage und diskutiere so, als säße mir jemand gegenüber.

Die Modelle ausprobieren: Es gibt nicht ein Modell, das besser oder schlechter ist. ChatGPT, Claude und Gemini haben unterschiedliche Stärken und Schwächen. Einfach ausprobieren und sehen, was womit am besten funktioniert. Neulich habe ich Kopfstand zum Thema “Busfahren” durchgespielt: Ein Modell brachte lauter technische Lösungen auf, das andere schlug vor, auf dem Dach des Busses mitzufahren (und merkte an, dass dies verboten sei).
Übrigens: Auch Recherche funktioniert immer besser mit KI. Aber darüber schreibe ich an anderer Stelle.
Für diesen Blogpost habe ich den “Speech to Text” Ansatz genutzt. Weil ich beim Sprechen gut ins Denken komme, spreche ich gern Ideen auf. Ich nutze den Rekorder am Smartphone, ChatGPT (funktioniert so naja) oder Gemini Live (erstaunlich natürlich!) . Dann lasse ich den Text umwandeln: Ich sage "Ändere nur Rechtschreibung und Grammatik" und erhalte ein gutes mündliches Manuskript. Das ist natürlich noch unstrukturiert, aber dazu kommen wir im nächsten Schritt.
Feld 2: Struktur und Aufbau
Was mache ich jetzt mit meinen losen Ideen? Ich nutze KI, um daraus einen strukturierten Text zu entwickeln. Sprachmodelle haben hohe Textkompetenz, schließlich wurden sie mit reichlich Texten trainiert. Ich formuliere einen strukturierten Prompt, der das Medium, die Textsorte, Länge und Zielgruppe festlegt.
Hier kommt beim klassischen Schreiben übrigens oft die Angst vorm weißen Blatt ins Spiel. Ideen und Recherchen sind leicht gemacht, aber jetzt geht es darum, Gedanken auf Papier zu bringen. Wer sich damit schwer tut, kann von KI profitieren. Aber darin steckt auch eine Gefahr. Denn je weniger ich die KI steuere, desto generischer wird das Ergebnis. Ich bekomme dann eben nur das Mittelmaß dessen, was die KI beherrscht.
Deshalb lohnt es sich, Schreiben zu trainieren. Gerade wenn ich mich schwer damit tue, wird es mir helfen, gute Texte von schlechten unterscheiden zu können und zu wissen, wie ich einen Text aufbauen kann.

Für meinen Blogpost bin ich übrigens schnell mit der KI vorangekommen. Ich wusste, wie ich den Text aufbauen wollte, und habe dies in meinem Prompt skizziert. Das Modell musste vor allem meine Inhalte zuordnen. Dann haben wir gemeinsam Wiederholungen, Gedankensprünge und Überflüssiges herausgefischt. Und fertig war der Rohbau meines Textes.
Feld 3: Stil und Schliff
Für die Stilarbeit nutze ich KI am seltensten. Niemand kann meinen Stil besser in einen Text hineinbringen als ich selbst. Schreiben ist schließlich mein Job.
Im Prinzip geht es aber relativ einfach. Beispieltexte wählen und die KI bitten, im Stil dieser Texte zu schreiben. Je genauer die Beispieltexte den gewünschten Stil treffen, desto besser fällt das Ergebnis aus.
Für Headlines und Teaser nutze ich KI umso lieber. Gute Überschriften wollen mir nicht leicht aus der Feder fließen. Deshalb gebe ich ein Format vor und lasse mir Vorschläge erstellen. Wenn ich die lese, geht in meinem Hirn ein Licht an und ich weiß, wie meine Headline klingen soll.
Wer gern mit GPTs oder Projekten arbeitet, wird sich für diesen Schritt wahrscheinlich einige bauen. In der Wissensbasis werden Beispieltexte, Headline-Formate oder Lieblings-Teaser hinterlegt. Wenn das System entsprechend instruiert ist, gibt es dann auf Knopfdruck mehrere Headlines zur Auswahl oder eine Textüberarbeitung im gewünschten Stil.
Hier lohnt es sich übrigens besonders, mit verschiedenen Modellen zu experimentieren. Claude Opus wäre mein Favorit, wenn es um Stil, nicht um Inhalt geht. Einen Custom GPT würde ich bauen, wenn ich immer wieder neue Beispieltexte hinzufügen möchte.
Für meinen Blogpost bin ich irgendwann ins Schreiben ohne KI übergegangen. Je tiefer ich mich ins Thema vertieft hatte, desto weniger wollte ich mir im Schreibprozess helfen lassen. Dieser Text für Feld 3 ist ganz klassisch im Dokument entstanden, ohne dass ich mit einem Sprachmodell darüber gechattet hätte. So funktioniert das Denk-Schreiben für mich immer noch am besten.
Feld 4: Feedback und Korrektur
In diesem Schritt ziehe ich wieder gern KI hinzu. Gerade wenn ich die Inhalte beim Schreiben entwickle, frage ich mich irgendwann, ob das klar und nachvollziehbar ist. KI gibt zuverlässig Feedback.
Eine Einschränkung gibt es: Feedback von KI ist immer gefällig und tut selten weh. Deshalb frage ich gezielt nach Kritikpunkten und Änderungsvorschlägen. Und dann ist wieder meine Expertise gefragt. Denn welchen Änderungsvorschlag ich umsetzen will, muss ich selbst entscheiden. KI hat nicht die Expertise eines Schreibtrainer oder einer erfahrenen Ressortchefin.
Ich empfehle, den “IVO Test” (Immediately Validate the Outcome) des Googlers Zack Akil mitzudenken: Kann ich das Ergebnis der KI sofort und direkt beurteilen? Wenn ja, kann ich problemlos mit dem Ergebnis arbeiten. Wenn nicht, muss ich die nötige Expertise hinzuziehen.
Damit brauche ich auch hier eine gewisse Textkompetenz, wenn ich KI einsetzen will. Ich muss in der Lage sein zu erkennen, was einen guten Text ausmacht und was nicht. Dann kann ich das Feedback der KI einordnen und nur das übernehmen, was für meinen Text sinnvoll ist.
Am Ende kommt ein Schritt, für den ich auf KI nicht mehr verzichten möchte: die Schlusskorrektur. Ich habe eine Rechtschreibkorrektur in allen Apps und im Browser integriert, und die hat bei mir reichlich zu tun. Vorbei sind die Zeiten, in denen ich Blogposts veröffentlicht habe und Kollegen mich anschrieben: “Schöner Text, aber du hast einen Typo in der Headline.” Dies ist übrigens auch der einzige Schritt in meinem Schreibprozess, für den ich nicht direkt im Sprachmodell arbeite, sondern mit einem Tool.
Machen wir den Test: Findet ihr einen Tippfehler in diesem Blogpost?
Fazit: In vier Schritten das Denken beim Schreiben nicht verlernen
So weit die vier Felder, in denen ich KI als Schreibtool einsetze. Mir hilft dieses Herangehen, KI gezielt im Prozess einzusetzen und dabei stets den Griffel in der Hand zu behalten. Dass wir bei der Arbeit mit KI das letzte Wort haben, ist klar. Dieses letzte Wort im Alltag zu nutzen, fällt nicht immer so leicht, wie es sollte.
Ich habe diesen Einblick in meine Praxis gegeben, um darüber zu sprechen, wie wir mit KI sinnvollerweise arbeiten. Wenn ihr mögt, probiert das Beschriebene aus und schreibt mir, wie es für euch lief. Vielleicht nutzt ihr auch ganz andere Herangehensweisen, folgt einem eigenen Prozess oder verzichtet ganz auf einzelne Schritte? Ich freue mich in jedem Fall über euer Feedback.
Lust auf mehr Schreiben mit KI?
In meinen Deep Dives legen wir richtig Hand an. Einen Tag lang schreiben, redigieren und polieren wir Texte, die ihr im Alltag einsetzt. Habt ihr Lust, ChatGPT & Co auf Hochtouren zu erleben?
Der nächste Termin: Montag, 31. März, online. Alle Infos und die Anmeldung findet ihr bei der dapr. Bis bald!
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