Rollenspiel mit Hund: Vorschläge für kollaboratives Schreiben mit KI
- Hilge Kohler
- 21. Mai
- 6 Min. Lesezeit
Was haben Sprachmodelle und Hunde gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts. Aber in letzter Zeit fühle ich mich immer öfter an Hunde erinnert, wenn ich mit Sprachmodellen arbeite.
Als Jugendliche hatte ich einen Hund. Und ich habe mit ihm gesprochen. Ja, ich wusste schon damals, dass Hunde unsere menschliche Sprache nicht verstehen. Aber wer einen Hund hat, weiß, wie schnell wir meinen können, unser Hund verstehe uns.
Zur Zeit arbeite ich oft mit Sprachmodellen im Dialog. Und dabei erlebe ich das Gleiche. Ich weiß, dass Claude, ChatGPT und Gemini nur ein Haufen Technik sind. Aber im Dialog bekomme ich schnell das Gefühl, mit einem Wesen zu arbeiten, das mich versteht.
Das Sprachmodell als Interviewpartner
Zum Beispiel neulich, als ich ein Interview gab. Barbara Stromberg hatte Fragen zum Thema “Texten mit KI” vorbereitet. Ich machte mich an die Fragen und dachte: Warum nicht mit der KI darüber sprechen? Also baute ich mir in Claude einen Interviewpartner. Nach drei Anläufen funktionierte es ganz gut. Wir beantworteten die Fragen gemeinsam, mal ich zuerst, mal Claude, und gingen aufeinander ein.

Ich war überrascht, wie lebendig sich das Interview anfühlte. Als würde wirklich jemand mit am Tisch sitzen, auf den ich mich einlassen muss. Nicht nur ein Stichwortgeber, sondern jemand, der eigene Gedanken einbringt. Mir machte dieses Interview viel mehr Spaß, als wenn ich allein mit den Fragen gewesen wäre.
Auch das Ergebnis scheint mir lebendiger, als ich es erwartet hätte. Hier könnt ihr es lesen.
Inzwischen arbeite ich regelmäßig mit Sprachmodellen als Co-Autor:innen. Ich gebe ihnen verschiedene Rollen und probiere aus, wie sich mit diesen Rollen kollaborativ schreiben lässt.
Kollaboratives Schreiben mit KI als Rollenspiel
KI als Co-Autorin
Ich schreibe Kurzgeschichten oder Essays im Tandem. Ich beginne die Story oder den Essay und übergebe nach einigen Sätzen an das Sprachmodell. Dann bin ich wieder dran und muss irgendwie mit dem Input des Sprachmodells weiter arbeiten.

Die Co-Autorin funktioniert für mich, wenn ich einfach Ideen frei fließen lassen möchte. Dann kann ich jede Idee aufgreifen, die das Sprachmodell in die Story hinein bringt. Ich muss mich aber auch auf das einlassen, was kommt, auch wenn es nicht in meinen Plan passt.
Die Co-Autorin funktioniert auch als "Coaching light”. Neulich hatte ich ein schwieriges Thema, über das es mir schwerfällt zu schreiben. Die Co-Autorin warf Inhalte ein, die nicht zu dem passten, was ich eigentlich sagen wollte - und manchmal war das richtig gut. Es öffnete neue Blickwinkel oder brachte Details auf, die ich ausgeblendet hätte.
Sprachmodell als Leserin
Die Rolle als Leserin nutze ich regelmäßig. Ich instruiere Claude oder ChatGPT, mir als Leserin Feedback zu geben oder Fragen zu stellen. Gerade bei Essays hilft es mir, wenn das Sprachmodell mir eine Frage oder einen Kommentar zuruft. Ich schreibe einige Sätze und lasse das Sprachmodell in der Rolle des Lesers kommentieren. Den Kommentar kann ich aufgreifen oder ignorieren - aber er lässt mich auf jeden Fall pausieren und nachdenken.

Bei einer Geschichte habe ich Claude als Leserin genutzt, die stets meine Gedanken hinterfragte. Damit hat sie meine Geschichte quasi aus dem Off vorangetrieben und die Richtung mitbestimmt. Ob ich wollte oder nicht.
KI als Protagonist
Jüngst habe ich mir eine Protagonisten mit an den Schreibtisch geholt. Ich habe das Sprachmodell instruiert, die Rolle des Protagonisten in meiner Story zu übernehmen. Der Protagonist soll jeweils nur ein Stück wörtliche Rede einwerfen, die Geschichte aber nicht weiter erzählen.

Es hat eine Weile gedauert, bis mein Prompt funktionierte. Aber seitdem probiere ich es in den verschiedenen Sprachmodellen aus. Und ich bin erstaunt, wie unterschiedlich die Modelle die Rolle auskleiden. Überrascht hat mich übrigens ChatGPT mit seinen Twists.
So lässt sich mit den Rollen spielen. Viele weitere Rollen können dazukommen. Unsere Fantasie darf sich nach Belieben austoben.
Rollen, Prompts und Stil: So geht's
Das Vorgehen ist immer gleich: Ich vergebe eine Rolle, entwickle den Prompt dafür und variiere den Stil, in dem das Sprachmodell spricht.
Die Rolle festlegen
Mit der Rolle stelle ich die Weichen für die Kollaboration mit dem Sprachmodell. In den Rollen steckt viel Potenzial für das kreative Arbeiten. Vorstellbar ist alles. Vier Beispiele habe ich oben genannt: Interviewpartner, Co-Autorin, Leserin und Protagonist. Weitere Rollen fallen euch bestimmt beim Arbeiten ein.
Den Prompt entwickeln
Diese Rolle beschreibe ich in einem Prompt. Das funktioniert selten beim ersten Anlauf, muss es auch nicht.

Ich fange mit einem einfachen, halbwegs strukturierten Prompt an. Dann probiere ich aus, was das System daraus macht, und passe den Prompt entsprechend an. Inzwischen funktioniert es meist schon nach der ersten Anpassung, aber manchmal dauert es auch länger.
Alternativ kann ich das Sprachmodell bitten, eine Prompt zu formulieren. Dafür beschreibe ich, was ich tun will und wie das Modell sich verhalten soll, und frage, wie der Prompt formuliert sein sollte. Auch diesen Prompt muss ich oft anpassen. Welchen Weg ich gehe, ist also vor allem Geschmackssache.
Die Start-Prompts lassen sich beliebig verfeinern. In welche Richtung soll die Geschichte gehen? Welcher Art soll der Input sein? Was soll das Sprachmodell vermeiden? All diese Verfeinerungen geben der Co-Creation einen individuellen Charakter. Es ist übrigens auch der Schritt, der in der Praxis zum richtigen Zeitfresser werden kann. Deshalb: Einfach starten und Schritt für Schritt weitergehen, das ist auch aus praktischen Gründen meine Maxime.
Mit dem Stil experimentieren
Wenn ich den Prompt für die Rolle habe, führe ich einige Durchläufe durch, um zu sehen, wie ich mit der Rolle zusammenarbeiten kann. Dann gehe ich den nächsten Schritt: Ich feile am Stil.
Der Stil, in dem das Sprachmodell antwortet, beeinflusst für mich die Qualität der Zusammenarbeit. Deshalb prompte ich den Stil erst, nachdem ich die Rolle einige Male ausprobiert habe.
Für mich gibt es vier grundlegende Stilarten für das kollaborative Schreiben:
Der Stil des Sprachmodells
Wenn ich keinen Stil prompte, antwortet das Modell so, wie Sprachmodelle eben schreiben. KI-typisch, bisweilen generisch, manchmal uncanny. Das kann unter Umständen genau das sein, was ich möchte. Denn manchmal möchte ich bewusst das Sprachmodell als solches im Text haben. Keine Verkleidung, kein "so-tun-als-sei-es-von-Menschen-geschrieben”. In dem Interview zum Beispiel wollte ich Claude, das Sprachmodell, hören. Also habe ich Claude im eigenen Stil antworten lassen.
Mein persönlicher Stil
Wenn das Modell in meinem Stil antwortet, kommen Texte heraus, die weniger Brüche aufweisen. Aber die Rolle meiner Co-Autorin wird auch schwerer erkennbar. Deshalb nutze ich diese Stilvariante selten für kollaboratives Schreiben mit Sprachmodellen.
Ein spezieller Stil
Je markanter, schräger oder andersartiger der Stil des Sprachmodells ist, desto prägnanter wird der Einfluss seiner Antworten. Das mag ich, auch wenn es meine Texte manchmal zu stark beeinflusst.
Journalistischer Stil
Die unverfängliche Variante ist es, das Sprachmodell im "journalistischen Stil” schreiben zu lassen. Der journalistische Stil ist gut definiert und wird von Sprachmodellen in der Regel zuverlässig umgesetzt. Heraus kommen nüchterne, sachliche Texte, die wenig Persönlichkeit versprühen, aber gut lesbar sind. Vor allem sind die Antworten nicht zu ausschweifend, verlieren sich nicht in Nebensätzen und verkneifen sich fluffige Worthülsen. In der Regel!
Fazit: Das Vorgehen ist einfach. Rolle, Prompt, Stil - und los geht’s. Wie viel ich aus diesem Prinzip ziehe, hängt davon ab, wie kreativ ich mit meinen Co-Autor:innen umgehe und wie stark ich mich auf den Prozess des kollaborativen Schreibens und Denkens einlasse.
Kreativ mit Sprachmodellen: Co-Creation auf Augenhöhe
Und damit sind wir wieder bei Hunden. Es mag albern scheinen zu meinen, ein Hund würde mich verstehen. Aber es hilft im Umgang mit dem Tier, Vertrauen aufzubauen und mich auf Augenhöhe zu verständigen. Vor allem macht es mehr Spaß. Deshalb täusche ich mich bewusst und tue so, als würde ich verstanden.
Auch mit meinen Co-Autor:innen gehe ich einen Dialog ein, der mehr ist als die Instruktion an eine Maschine. Ich suche gezielt eine Ebene, auf der “wir kollaborativ arbeiten können”. Ja, das anthropomorphisiert eine Maschine, die vielen noch immer unheimlich ist. Aber für mich ist es ein Schlüssel zur kreativen Co-Creation.
Kollaboratives Schreiben mit KI ist für die meisten von uns neu. Ich bin überzeugt, dass darin großes Potenzial für unsere Arbeit schlummert. Um es zu heben, arbeiten wir am besten zusammen - nicht nur mit Sprachmodellen, sondern vor allem auch miteinander. Egal ob Konkurrenz oder nicht. Am besten werden wir dieses Potenzial heben, wenn wir gemeinsam an dem Prozess arbeiten.
Nicht heben werden wir das Potenzial jedenfalls, wenn wir KI als Konkurrenz zu menschlicher Kreativität sehen, wenn wir die Technologie verteufeln oder heimlich im stillen Kämmerlein einsetzen. Dann werden andere das Potenzial heben.
Deshalb: Lasst uns unsere Erfahrungen teilen und von- und miteinander lernen. Zum Beispiel in Workshops, Projektteams oder Netzwerken. Und ja, auch auf Plattformen wie LinkedIn. Auf zum Rollenspiel!
Übrigens: Mein Hund hat mich, glaube ich, wirklich verstanden.
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