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  • AutorenbildHilge Kohler

Mehr Zeit für die Begrüßung online, bitte!

Aktualisiert: 22. März 2022

Lehren aus einem ausgedehnten Check-In



Ich habe es getan: Meine Online-Session mit einer klassischen Vorstellungsrunde begonnen. Alle 20 Teilnehmende durften einmal zu Wort kommen. “Bitte kurz halten”, habe ich noch gesagt, “mal sehen, ob wir in fünf Minuten durch sind.”


Zwanzig Minuten später waren wir durch und mein Zeitplan war dahin.


Check-In am virtuellen Lagerfeuer


Nicht allen liegt es, sich kurz zu fassen. Es entspricht auch nicht unserem Bedürfnis, uns mitzuteilen. Wir wollen gesehen und wahrgenommen werden. Also ergreifen wir die Chance, wenn wir sie haben - und reden. Deshalb: Keine langen Vorstellungsrunden! Weiß ja jeder.


Und trotzdem habe ich es getan. Weil ich neugierig war. Weil ich meine Teilnehmenden kennenlernen wollte und etwas über sie erfahren. Und weil ich uns als Gruppe erleben wollte, bevor es ans Thema ging.


Also habe ich ein Lagerfeuer am Jamboard vorbereitet, habe Stühle arrangiert und Drinks bereitgestellt. Die 20 Teilnehmenden konnten sich einen Stuhl in Form einer Sticky Note nehmen, ihren Namen drauf schreiben und einen Drink wählen. So saßen wir rund ums virtuelle Lagerfeuer.


Ich sagte: “Kurze Runde. Deine Stadt, deine Themen, ein Fakt über dich. Ich fange an: Ich sitze in Heidelberg, unterrichte Text und Rhetorik und bin totaler Reise-Fan.” Dann gab ich das Wort an meine Sitznachbarin.


Zwei bis drei Teilnehmende hat es gedauert, bis aus der “kurzen Runde” lange Erklärungen wurden. Nach sechs Teilnehmenden schwante mir, es könnte zu lange dauern. Nach 10 Teilnehmenden dachte ich, jetzt muss ich eingreifen und um Kürze bitten.


Ich schaute in die Runde. Was ich sah, waren lauter fröhliche Gesichter. Leute lachten und die Runde am Lagerfeuer lief auf Hochtouren. Also ließ ich sie weiterlaufen.


Die Rechnung kam am Ende: Mitten in meinem Programm war die Zeit um. Alle bedankten sich munter und freuten sich aufs nächste Treffen. Zurück blieb ich mit meiner halbfertigen Session.



Online moderieren heißt Menschen zusammenbringen


Was nun? Nie wieder Vorstellungsrunden? Check-In kurz halten? Bei großen Gruppen nicht das Wort in die Runde geben?


Ja und nein. Denn ich habe mein Ziel in der Session nicht erreicht, und das ärgert mich. Wäre mehr Zeit gewesen, dann hätten wir Großes erreichen können, hätten Ideen entwickelt und wären am Ende nicht nur fröhlich, sondern auch schlauer gewesen. Andererseits: Ohne die gesellige Lagerfeuer-Runde hätte auch etwas gefehlt.


Das ist es doch, was uns oft fehlt in Online-Meetings: Andere Menschen treffen, einander in die Augen sehen, miteinander Spaß haben und mehr über die Menschen hinter den Video-Kacheln erfahren.

Wir sagen: Online dreht sich alles nur um Inhalt, Geschäft, Besprechen, Zuhören. Der menschliche Austausch kommt zu kurz. Deswegen mögen wir Online-Meetings nicht. Und deswegen halten wir sie möglichst kurz. Wir stecken viel Inhalt in die kurze Zeit, und wenn sie um ist, eilen wir ins nächste Meeting.


Und am Ende des Tages sind wir ganz erschöpft, weil wir so viele Meetings mit vielen Menschen hatten und so viele Inhalte besprochen und Dinge erledigt haben – aber Menschen haben wir nicht wirklich getroffen.


Und so sehnen wir uns nach den Zeiten, wenn wir uns wieder persönlich begegnen können.



Wir sehnen uns nach Präsenz, als seien wir online nicht präsent


Dabei sind wir doch persönlich präsent in all den Online-Meetings. Aber offenbar reicht es nicht, einander zu hören. Die nonverbalen Signale fehlen: leise Zwischentöne, kleine Gesten.


Ersetzen können wir die Gesten und Zwischentöne nur mit Sprache. Wir müssen genau hinhören, aufmerksam zuhören und sorgfältig miteinander sprechen. Das braucht mehr Zeit als im physischen Raum. Zeit, die sich im Verlauf der Online-Session auszahlen wird.


Wenn wir uns online wohlfühlen, können wir besser hinhören. Und wenn wir genau hinhören, können wir einander erkennen. Dann haben wir die Chance, uns persönlich zu begegnen, als wären wir vor Ort.


Deshalb:


Ja, Online-Meetings sind anstrengend. Und ja, wir haben gerade alle zu viel davon. Aber nein, die Lösung ist nicht, Meetings kürzer zu halten und aufs Wesentliche zu konzentrieren.

Die Lösung liegt darin, uns Zeit zu nehmen für die Begegnung online. Nicht nur auf das Geschäftliche zu hören, auch wenn unsere Ohren im Job darauf trainiert sind. Sondern genauso sorgfältig auf persönliche Töne zu hören. Damit wir den Menschen hinter den Video-Kacheln näher kommen. Die Zeit dafür ist gut investiert.


Wichtig dabei: Wie wir die Session beginnen, so wird sie weiterlaufen. Wenn wir es schaffen, zu Beginn den richtigen Ton zu setzen, dann steht einem lebendigen Meeting wenig im Weg. Deshalb kommt es auf die Begrüßung an, den Check-In oder Icebreaker. Gesellig oder geschäftig, kurz oder lang - Hauptsache wir nehmen uns Zeit und eine passende Methode.



Drei Fragen helfen, die passende Online-Methode zu wählen


Erstens: Wie lange darf der Check-In dauern?


Die Teilnehmenden zu begrüßen, braucht online mehr Zeit als vor Ort. Ein ausgiebiger Check-In kann schnell den zeitlichen Rahmen der Session sprengen - siehe meine Anekdote vom virtuellen Lagerfeuer.


Als Daumenregel kann gelten: Der Check-In darf bis zu 10% der Meetingdauer einnehmen, aber sollte nicht länger als 45 Minuten dauern. Wenn ein Online-Workshop mehrer Tage dauert, dann sind 45 Minuten zu Beginn gut investiert. Wenn die Session eine Stunde dauert, dann dürfen es fünf Minuten sein.


Zweitens: Wie groß ist die Gruppe?


Große Gruppen sind kein Hindernis für einen guten persönlichen Check-In.


Ich habe Barcamps erlebt, bei denen 80 Teilnehmende sich kurz vorstellen, ohne den zeitlichen Rahmen zu sprechen - mit drei Hashtags geht das gut, vorausgesetzt die Beteiligten kennen das Prozedere.


Ich habe mit über 100 Teilnehmenden auf einer Deutschlandkarte online Visitenkarten gepinnt - das war erst stressig, weil nicht alle wussten, wie es technisch geht; aber im Verlauf des Workshops war die Visiten-Landkarte ein schöner Anker.


Also: Die Gruppengröße ist wichtig zu wissen, damit ich die richtige Methode wählen kann. Aber sie ist kein Grund, den Check-In mehr oder weniger wichtig zu nehmen.


Drittens: Was will ich mir dem Check-In erreichen?


Möchte ich etwas über meine Teilnehmenden erfahren, auf das ich in meinem Workshop eingehen kann? Sollen die Teilnehmenden sich gegenseitig kennenlernen, weil das Netzwerken ein Ziel der Session ist? Oder sollen sie einfach mental in meiner Session ankommen?


Sollen Inhalte im Vordergrund stehen, weil es eine Arbeitssitzung ist? Soll es um Persönliches gehen, weil wir die Menschen in den Video-Kacheln kennenlernen wollen? Oder soll eine Mischung aus beidem sein?



Check-In Methoden: die Qual der Wahl


Welche Methode soll es nun sein für den Check-In?


Die Frage ist einfach und schwierig zugleich. Einfach, weil es unzählige Methoden für den Check-In gibt. Das macht es zugleich schwierig, denn Sie haben die Qual der Wahl.


Wenn Sie die obigen drei Fragen beantwortet haben, dann wird Ihnen die Wahl leichter fallen und Sie finden sicher eine passende Methode. Inspiration und Vorschläge gibt es zuhauf. Ich empfehle diese Quellen:



Zurück zu meinem virtuellen Lagerfeuer:


Was lerne ich daraus?

  • Kein Lagerfeuer mehr anzünden, wenn der Check-In nur fünf Minuten dauern soll.

  • Keine einstündige Session zusagen, wenn es um Inhalt und Netzwerken gleichermaßen geht

  • Und weiterhin gilt für mich: Kein Online-Meeting ohne ein bisschen Spiel und Spaß


Das virtuelle Lagerfeuer werde ich bei anderen Gelegenheiten wieder entfachen - wann immer wir uns die Zeit nehmen, gesellig zusammen zu sitzen. Ich hoffe, recht oft.




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